Fensterfabrik Hagendorn
Ort: Hagendorn, Gemeinde Cham I Planung und Realisierung: 2004-2007 I Bauherrschaft: Baumgartner AG, Hagendorn I Architektur: Niklaus Graber & Christoph Steiger, Luzern I Wettbewerb 2003
Bereits beim Wettbewerb für die Werkerweiterung der Fensterfabrik war allen Beteiligten klar, die Integration einer Halle, in der Grösse von drei Fussballfeldern, in eine Landschaft, welche im schweizerischen Bundesinventar als „schützenswert" bezeichnet ist, kann nur im Rahmen einer Teamarbeit gelöst werden. Und diese Landschaft in Hagendorn ist einzigartig. Eine Kulturlandschaft mit Geschichte, nachweislich seit 2000 Jahren bewohnt, wie der Fund einer römischen Mühle auf dem Gebiet des Bauplatzes beweist. Eine Landschaft, einerseits streng strukturiert durch das geometrische Muster der landwirtschaftlichen Feldfluren, andererseits auch geprägt durch urwüchsige Wälder, welche die Weite fragmentieren, sowie den Flusslauf der Lorze, welche durch die Ebene mäandriert. Und eine Landschaft, dessen Erscheinungsbild sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert hat. Zeugen dieser Geschichte sind insbesondere die Entwässerungsgräben, welche in der Umgebung der Fensterfabrik während des Zweiten Weltkrieges gebaut wurden, um anstelle von Streuwiesen, landwirtschaftliche Produktionsflächen zu gewinnen. Diese Streuwiesen, einst für die Bauern minderwertiges Land, sind heute Rückzugsgebiete für seltene Planzen und Tiere und in Hagendorn wie auch im Kanton Zug nur noch selten anzutreffen. So im Gebiet Alpenblick am Zugersee oder im „Reussspitz“, dem Gebiet wo die Lore in die Reuss mündet.
Eine Fabrik dieser Ausdehnung und in dieser Landschaft, kann man nicht "verstecken" oder tarnen, beispielsweise durch Umgrünen mit Gehölzen oder Bäumen. Dies würde das ausbalancierte Verhältnis zwischen menschlichen Eingriffen und natürlichen Erscheinungen, welche das Gebiet um Hagendorn auszeichnet, banalisieren. Das Bauwerk musste die Eigenarten und Ausdrucksformen der umliegenden Landschaft integrieren. Einer Landschaft, in der Streuwiesen, Teiche und Hecken prägende Elemente sind. Und die Hecke, als Element der Landschaft, wurde denn auch Teil der Vegetationswand, welche die Werkerweiterung umfasst und den Uebergang zur Landschaft artikuliert.
Die Ausdehnung der Halle manifestiert sich also nicht als dekorative Spielerei oder Werbeplattform, beispielsweise für die Produktion von Fenstern, sondern als Artefakt mit architektonischen und landschaftlichen Aspekten. Und die Wand definiert die Mitte. Sie ist einerseits ein konstruktives Bauwerk, dass einen Bezug zur Dachkonstruktion offenbart, durch die "Füllung" mit Pflanzen aber andererseits Teil der umliegenden Landschaft wird. Pflanzen und Hecken bedingen sich gegenseitig. Die Konstruktion funktioniert nicht ohne Pflanzen und eine Umgrünung der Fabrik mit Pflanzen ohne Konstruktion wäre eben eine banale Tarnung.
Weniger augenfällig für den Betrachter, aber von ebenso grosser Bedeutung für Umwelt und Bauwerk ist die Ausbildung der sogenannten fünften Fassade, des Daches. Wir betrachteten es als einzigartige Chance, der Landschaft um Hagendorn etwas zurückzugeben. Ziel war, auf dem Dach ein Standort für eine Pfeifengraswiese zu bauen. Eine Pfeifengraswiese (Molinietum caeruleae) ist ein Streuwiesentypus, der auf feuchten bis wechselfeuchten Böden, vorwiegend im Alpenvorland vorkommt und im Bereich der Werkerweiterung, vor dem Bau der Entwässerungsgräben, der vorherrschende Wiesentypus war. Bedeutend für uns war auch, dass diese Wiesen wechselnde Wasserstände und Ueberflutungen mögen, was in Folge die Ausbildung des Daches als eine Art Retentionsbecken ermöglichte.
Da unseres Wissens noch nie versucht wurde, eine Streuwiese auf einem Dach zu realisieren, insbesondere nicht auf einer Fläche der Grösse von drei Fussballfeldern, konnten wir bei der Planung nicht auf Normen oder Erfahrungswerte zurückgreifen. Um das Risiko betreffend Erdgemisch, Saatgut und Retention zu kalkulieren, erstellten wir mehrere Versuchsfelder mit unterschiedlichen Substrat- und Saatgutzusammensetzungen. Ein Substratgemisch aus vor Ort anfallendem Aushubmaterial und Dachziegelschrott versprach nach zwei Jahren Beobachtung das beste Resultat. Zudem wurde die Abdichtung des Daches so ausgebildet, dass ein permanenter Wasserstau vorhanden ist und das Wasser bis auf eine Höhe von 20 Zentimeter aufstauen kann.
Nach der Ansaat wurde auf dem Dach bewusst auf gärtnerische Hilfsmassnahmen wie bewässern oder jäten verzichtet. Ziel war die natürlich Entwicklung der Flora, hin zu einer stabilen Pflanzengesellschaft. Nach anfänglichen Schwankungen in der Artenzusammensetzung, hat sich nach einigen Jahren ein Feuchtwiesentypus etabliert, der Trockenperioden wie auch längere Ueberflutungen ohne Probleme übersteht. Auch das Pfeifengras, die Leitpflanze der Streuwiese, konnte sich langsam etablieren. Und ein Besuch in Hagendorn zeigt, Heckenwand, Dach und Wasserflächen sind wichtig für den Naturhaushalt der Region, stehen im Austausch mit dem Biorhythmus der umliegenden Landschaft und bieten Lebensraum für Flora und Fauna.
Baumgartner window factory, Hagendorn
Even at the competition stage for the expansion of the window factory, all participants agreed: The integration of a hall with a size of three football pitches into a landscape that is included in the federal Swiss heritage list as “worth preserving” can only be achieved through teamwork. And this landscape in Hagendorn is unique: a cultivated landscape with a history that is known to have been inhabited for 2,000 years, as the discovery of a Roman mill on the building site proves; a landscape that is both strictly structured by the geometric pattern of the agricultural field distribution, and one that is defined by the unspoilt forests that break up the wide open spaces, as well as the route of the River Lorze as it meanders through the valley; and a landscape with an appearance that has constantly changed through the ages. Evidence of that history can particularly be seen in the drainage ditches, which were built in the vicinity of the window factory during World War II to replace the watery meadows with agricultural land. These meadows, which were once considered by farmers to be of low quality, are now retreats for rare plants and animals and can only be found occasionally in Hagendorn or indeed the Canton of Zug, for instance in the region of Alpenblick on Lake Zug or in the so-called Reussspitz, where the River Lorze flows into the River Reuss. A factory of this expanse cannot “hide” or camouflage itself, for instance with greenery using shrubs or trees. That would render banal the well-balanced relationship between the human measures and the natural phenomena that characterises the area around Hagendorn. The building had to integrate the qualities and expression of the surrounding landscape – a landscape in which watery meadows, ponds and hedges are definitive elements. And the hedge as an element of the landscape also became part of the wall of plants that envelopes the factory extension, articulating the transition to the landscape. The extent of the hall is therefore not so much manifested as a decorative gimmick or an advertising platform, for instance for the production of windows, but as an artefact with architectural and landscape aspects. And the wall defines the centre. It is on the one hand a structural building that reveals a reference to the rooftop construction. On the other, by “filling” it with plants, it becomes part of the surrounding landscape. Plants and hedges become mutually contingent. What is less obvious for the observer, but equally important for the environment and the building, is the nature of the so-called fifth façade, the roof. We regard this roof as the only chance to give something back to the landscape around Hagendorn. As a result, the roof forms the ground for a meadow of moor grass (molinietum caeruleae), a type of meadow that exists on damp or seasonally damp soils, especially in the Alpine foothills and existed as the predominant type of meadow at the site where the factory extension was constructed before the drainage ditches were implemented. It was also important to us that the meadows enjoyed changing water levels and flooding, which allowed the roof to fulfil the role of a retention basin. Since to our knowledge a damp meadow on a rooftop has never been attempted – especially not over an area of three football pitches – we could not draw on any norms or prior experience in planning it. To calculate the risk with respect to the soil mixture, seed and retention, we created several test fields with different substrates and seed combinations. After two years of observation, a substrate mixture of soil taken from the local area and roof tile gravel proved to offer the best results. The insulation for the roof was also applied in a way to ensure permanent waterlogging, allowing the water to build up to a depth of 20 centimetres. After sowing, the roof deliberately received no further gardening measures such as watering or weeding. The aim was for the flora to develop naturally to achieve a stable plant community. After an initial fluctuation in the constituent species, a damp meadow type established itself after a number of years that can survive periods of drought and also longer flooding spells without any problems. A visit to Hagendorn today shows that the hedgerow, roof and water areas are important for the region’s natural sustainability, exchange with the biorhythm of the surrounding landscape and offer a habitat for flora and fauna.